Im Folgenden veröffentliche ich mit freundlicher Genehmigung des Friedrich Verlags meinen in der jüngsten Ausgabe von Computer + Unterricht 108/2017 („Medienethik“) veröffentlichten Artikel „Unterrichtsmaterial auf Abwegen“.
Nach der Veröffentlichung bin ich auf ein Interview von Jöran Muuß-Merholz bei der BertelsmannStiftung aufmerksam geworden („Ein anderes Verständnis von Qualität„). Ich möchte kurz auf einen zu meinem Artikel passenden Absatz eingehen, da mein eigener Beitrag auch fast als vorausgreifende Replik dazu verstanden werden kann. Jöran sagt auf die Frage:
Aber ist das im Hinblick auf die Qualität nicht ein großes Problem?
Ich halte diese Frage für vollkommen überschätzt. Bei den Nicht-OER war auch dies nie ein großes Thema. Es wird bei Schulbüchern zwar häufig auf deren Zulassung hingewiesen, aber dabei ging es nie um deren Qualität, sondern nur um die Passung zum Lehrplan. Zweitens haben Arbeitsblätter inzwischen das Schulbuch als wichtigstes Unterrichtsmaterial abgelöst – und die werden überhaupt nicht zertifiziert oder geprüft. Und schließlich unterscheidet sich das Qualitätsverständnis von Lehrern erheblich von jenem in den Fachdebatten. Wenn man Lehrer heimlich beobachten würde, würde man vermutlich fest- stellen: Ein Großteil der Recherche beruht auf einer Google-Suche und der Abwägung, ob das gefundenen Material zum didaktischen Zweck passt. „Quality is fitness for purpose“, wie es im Englischen so schön prägnant heißt.
Zunächst wird argumentativ angeführt, dass es bei Nicht-OER – und insbesondere Schulbüchern – im Rahmen der Zulassung nie um Qualität ging. Dies ist aus meiner Sicht so nicht richtig, da bei der Zulassungsprüfung schon z.B. darauf geachtet wurde, dass Werbefreiheit gewährleistet ist. Ich erinnere mich an Gespräche mit Autoren/Mitarbeitern von Schulbüchern, die davon berichteten, auf Mängel (z.B. Nennung einer Fluggesellschaft in einem Englischbuch) hingewiesen worden zu sein. Andererseits besteht durch die Verlage natürlich eine Art vorauseilende Qualitätskontrolle bevor diese Schulbücher (in Kenntnis der evtl. kritischen Kriterien) zur Zulassung einreichen.
Der zweite Punkt, dass Arbeitsblätter in ihrer Bedeutung massiv zunehmen und dort keinerlei Prüfung stattfindet, ist richtig. Zugleich ist dies aber doch genau das Problem, wie im Beitrag unten näher ausgeführt. Wir haben eine Schwierigkeit mit lobbyistischer und werbender Einflussnahme über freie Unterrichtsmaterialien, so dass dies aus meiner Sicht keineswegs als Argument herhalten kann/sollte, dass die Qualitätsfrage überbewertet sei. Ganz im Gegenteil besteht für die OER-Entwicklung die einzigartige Chance, dieses Problem früh- und rechtzeitig zu erkennen, anzugehen und zu lösen. Es zu ignorieren, wäre aus meiner Sicht in Kenntnis der aktuellen Diskussion nahezu fahrlässig und könnte mittelfristig zum Vertrauensverlust in die grundsätzlich gute OER-Idee führen.
Mit dem dritten Punkt bestätigt Jöran genau die Erkenntnis der in meinem Beitrag genannten Schulmarketingagentur. In der massiven zeitlichen Überlastung vieler Lehrer mag das beschriebene Szenario der Google-Suche mit Abwägung der oberflächlichen Passung durchaus zutreffen. Wenn ich selber (im Rahmen meines privaten Engagements) freie Unterrichtsmaterialien mit Verdacht auf lobbyistische Einflussnahme prüfe, dauert dies so unverhältnismäßig lange, dass ich dies im Alltag in der Form nicht leisten könnte. Und schon gar nicht von Kolleg*innen erwarten kann. Es wäre interessant zu erfahren, wie lange/umfangreich eine Materialprüfung z.B. im Rahmen der Arbeit des „Materialkompass“ dauert. Doch auch hier wäre es doch fahrlässig, zu erkennen, dass Lehrer*innen im überlasteten Alltag die zunehmende Schwemme an Unterrichtsmaterialien kaum mehr adäquat bewältigen können, und daraus zu folgern, dass die Frage der Qualitätsprüfung überbewertet sei.
Was daraus folgt und wie bedeutsam das aktuelle Zeitfenster innerhalb der OER-Entwicklung und eine „Monitoringstelle“ aus meiner Sicht für eine Beschäftigung mit der Frage der Qualitätsprüfung ist, folgt aus dem nun folgenden Beitrag (für Zitate und als Referenz gilt weiterhin die oben genannte Erstveröffentlichung des Friedrich Verlags):→ weiterlesen